Von Meike Nadler, Q2
Es ist Ende August 2021 in Berlin. Der damals 85-Jährige Dieter Hallervorden stellt den neuen Spielplan seines Theaters vor und macht dabei seinem Unmut bezüglich einer Veränderung in der deutschen Sprache sehr deutlich Luft. „Allen Mitarbeitern steht es natürlich frei, das zu handhaben, wie sie möchten. Aber alles, was von Seiten des Theaters herausgegeben wird, wird nicht dazu dienen, die deutsche Sprache zu vergewaltigen.“
Das Thema habt Ihr jetzt sicherlich schon erraten, denn Ihr werdet alle täglich damit konfrontiert: Gendern. 80 % der deutschen Bevölkerung lehnen es ab. Viele sind müde, weiter darüber zu diskutieren. Und Teile des Kultusministeriums Hessen halten es für das Richtigste, es zu verbieten. Damit alle die nachfolgenden Argumente verstehen, hier nochmal eine kurze Erklärung, was Gendern überhaupt ist. Das Wort an sich kommt aus dem Englischen, denn dort wird zwischen zwei Arten des Geschlechts unterschieden. Einmal das biologische Geschlecht „Sex“ und das soziale Konstrukt eines Geschlechts „Gender“. So geht es bei der gendergerechten Sprache
darum, alle sozialen Geschlechter zu berücksichtigen. Wenn man davon ausgeht, dass es nur zwei gibt, also Mann und Frau, besteht die Möglichkeit beide Formen zu nennen. Man könnte also bspw. von Politikerinnen und Politikern sprechen. Nun ist es aber so, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, wie ihr mittlerweile alle wissen dürftet. Schließlich hat dies nun auch das Bundesverfassungsgericht Ende 2018 geltend gemacht. So gibt es jetzt auch die Möglichkeit, „divers“ oder „ohne“ beim Eintrag ins Personenstandsregister zu wählen. Um auch solche Menschen in der Sprache zu zeigen, wurde die Idee der Sonderzeichen publik. Das heißt dann zum Beispiel Lehrer*innen mit einem Stern, Doppelpunkt oder Unterstrich verbunden. Wie Letzteres die Sprache verändert, wird von vielen jedoch nicht gerne gesehen. Gendern mache die Sprache kaputt, denn verständliche, lesbare und zugängliche Sprache sei durch die erhöhte Verwendung von Sonderzeichen nicht mehr gewährleistet. Auch die Pause klinge unnatürlich und Sprache werde politisch aufgeladen, was zu mehr Polarisierung führe. Ebenfalls ist die Verwendung von Sternchen oder ähnlichem nicht von der amtlichen Rechtschreibung abgedeckt und gilt somit noch als Rechtschreibfehler. Ich kann verstehen, dass Sätze wie „Der/die Einkäufer*in darf an Kasse 2 zurzeit nicht ihre/seine Produkte auflegen, da es technische Probleme gibt, die es unseren Mitarbeiter*innen unmöglich machen, seine/ihre Rechnung korrekt auszudrucken.“ unschön zu lesen und zu schreiben sind.
Wenn ich als Schülerin nun aber in meiner Geschichtsklausur von Wähler*innen schreibe, weil endlich am 12. November 1918 das Frauenwahlrecht eingeführt wurde, ist das meiner Meinung nach eine Berücksichtigung aller Menschen, die ab diesem Zeitpunkt wählen durften. Denn auch, wenn immer wieder davon geredet wird, dass die männliche Form ja eine Gruppe an Menschen anspreche und es sich nicht um ein generisches Maskulin handele, ändert sich die Vorstellung im Kopf, wenn ich gendergerechte Sprache verwende. Lasst es mich nochmal versuchen, anders zu erklären. Wenn ihr gefragt werdet, wer eure Lieblingsschauspieler sind, dann ist die Antwort mit Sicherheit eine andere als wenn ihr gefragt werdet, wer eure Lieblingsschauspieler*innen sind. Es ändert sich nämlich in der Sprache und dadurch in der Wahrnehmung und damit auch in der Antwort die entscheidende Sache: alle Geschlechter werden berücksichtigt.
Und das ist doch auch schon alles, das ist das einzige Ziel. Aber dennoch scheint es eben ein großes Problem für die Menschen zu sein. Und nicht nur für die Menschen, die bei einem Familientreffen zusammensitzen und darüber diskutieren, sondern auch für die Menschen, die im Kultusministerium zusammensitzen und darüber diskutieren. Nach meinen Familientreffen bin ich zwar immer kurz davor enterbt zu werden, weil ich „viel zu radikale Meinungen vertrete“, aber das hat immerhin keinen direkten Einfluss auf mein Abitur. Das Kultusministerium wollte das wohl dringend ändern und verbot nun Ende März 2024 die Verwendung von Genderzeichen in Abschlussprüfungen. Bei Missachtung dieses Verbots werden Sternchen, Doppelpunkte oder Unterstriche als Fehler gewertet, was jetzt sehr wohl Einfluss auf meine Abiturnote haben kann.
Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert das Ziel von Bildung so: „Bildung soll die Persönlichkeit entwickeln und ein erfülltes Leben ermöglichen. Bildung soll gut ausgebildete Fachkräfte für den Arbeitsmarkt bereitstellen und unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig halten. Bildung soll Frieden und Demokratie sichern und unser kulturelles Wissen über die Generationen weitergeben.“ Vielleicht liegt der Fehler bei mir, aber zuerst wird verlangt, dass wir unsere eigene Persönlichkeit entwickeln, um dieser Persönlichkeit dann mitzuteilen, dass das, was wir für die Demokratie und Freiheit als wichtig erachten, jetzt verboten ist. Das kann ich nicht nachvollziehen. Versteht mich jetzt bitte nicht falsch, ich will nicht das genaue Gegenteil dieses Verbots. Ich möchte keine Genderpflicht. Das einzige, was ich wichtig finde, ist einmal die Gleichheit und damit einhergehend auch die gleiche Berücksichtigung in der Sprache, aber eben auch die Freiheit. Die Freiheit, ob man gendergerechte Sprache verwendet oder nicht. Niemand soll gezwungen werden zu gendern, aber genauso soll es auch niemandem verboten werden.
Nun geht es aber leider noch weiter. Das Verbot ist das eine, die absolute Verbreitung des Hasses dieser Veränderung gegenüber das andere. Wenn ein Herr Hallervorden Gendern mit einer Vergewaltigung gleichsetzt, fehlen mir buchstäblich die Worte. Eine Vergewaltigung ist das „nicht einverständliche, sexuell bestimmte vaginale, orale oder anale Eindringen in den Körper einer anderen Person“ und fällt damit unter den Straftatbestand einer schwerwiegenden Sexualstraftat. Gendern ist die Hoffnung eine Gleichberechtigung auch sprachlich zu erlangen. Diese zwei Themen sind in etwa so weit entfernt voneinander wie Putin von der Demokratie.
Natürlich wird die „Vergewaltigung der Sprache“ als Hyperbel oder als Synonym für „kaputt machen“ verwendet, aber dennoch wird mir hierbei bewusst, dass nach wie vor die Sensibilität vor Verbrechen solcher Art fehlt. Es lässt sich hier sehr gut erkennen, inwiefern Sprache beeinflusst. Auf der einen Seite das Gendern, was Gleichheit in der Sprache und damit möglicherweise auch mehr Gleichheit im Leben als Ziel hat, aber auf der anderen Seite das absichtliche Verwenden von Wörtern, die keinen Bezug zu der Thematik aufweisen, um einen Sachverhalt auf die Spitze zu treiben. Beide Male wird das Denken durch die Sprache beeinflusst.
Also bitte, sucht euren Weg mit diesem vielschichtigen und komplexen Thema, aber lasst die Menschen frei entscheiden, ob sie gendern wollen oder nicht.
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit!
Quellen
• https://www.rnd.de/promis/gendern-dieter-hallervorden-sieht-eine-vergewaltigung-der-sprache-HW7JM2EDMRDOCNKMLCUWYQHWXY.html
• https://de.wikipedia.org/wiki/Dieter_Hallervorden
• https://www.tagesspiegel.de/politik/dieter-hallervorden-fehlt-das-gespur-fur-die-gleichstellung-4272988.html
• https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/id_100297052/gendern-80-prozent-der-deutschen-lehnen-es-ab-exklusive-t-online-umfrage.html
• https://www.bmfsfj.de/resource/blob/94392/83dc828423407787e34f21bdf0de6fa0/muetter-grundgesetz-data.pdf
• https://www.lpb-bw.de/gendern
• https://de.m.wikipedia.org/wiki/Gendern
• https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ueber-diskriminierung/diskriminierungsmerkmale/geschlecht-und-geschlechtsidentitaet/dritte-option/dritte-option-node.html
• https://www.lpb-bw.de/12-novembe
• https://www.hessenschau.de/politik/hessische-schueler-duerfen-in-abschlusspruefungen-keine-genderzeichen-mehr-verwenden-v2,genderverbot-schulen-abschlusspruefungen-hessen-100.html
• https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/145147/was-ist-bildung/
• https://de.m.wikipedia.org/wiki/Vergewaltigung
• https://exxpress.at/wow-baerbock-kennt-laender-die-hunderttausende-von-kilometern-entfernt-sind