Frieden unterstützen durch Präsenz – Friedensdemos in Darmstadt

EULE

von Lidia (10b)

Wenn ihr diese Überschrift seht, fragt sich sicher manch einer von euch: Was? Es gibt eine Friedensdemo in Darmstadt? Ja, ihr habt richtig gehört, und die gibt es sogar schon seit Beginn des Ukrainekrieges. Und da mir aufgefallen ist, dass viele gar nicht über die regelmäßig stattfindenden Demos/Kundgebungen Bescheid wissen, war es mir wichtig, euch auf diesem Wege darüber zu informieren.
Die Kundgebungen finden jeden Samstag um 10.30 Uhr auf dem Friedensplatz in Darmstadt statt. Erfahren habe ich das auch erst durch einen Freund: Nicolas von der Edith-Stein-Schule engagiert sich dort regelmäßig – wie genau könnt ihr aber gleich noch im Interview nachlesen. Doch nochmal kurz zurück zu den Kundgebungen an sich. Vor einigen Wochen, genauer gesagt am 04.06.2022, bin ich einmal selbst zur Kundgebung gegangen, um mir ein Bild davon zu machen. Denn ehrlich gesagt wusste ich selbst nicht so genau, was ich mir darunter vorstellen muss. Als ich dort ankam, waren die Vorbereitungen noch in vollem Gange. Flaggen wurden aufgehängt, Lautsprecher getestet – alle Beteiligten waren sehr engagiert bei der Sache. Weniger jedoch die Darmstädterinnen und Darmstädter: Die meisten Menschen, die kamen und sich dazustellten, waren Geflüchtete aus der Ukraine, doch auch dazu wird euch Nicolas noch mehr im Interview erzählen. Das „Programm“ des Vormittages bestand, kurz gesagt, aus mehreren Reden (z.B. von Politikern oder auch von Geflüchteten selbst), aber auch musikalischen Beiträgen. So wurde die ukrainische Nationalhymne über einen Lautsprecher abgespielt, und da so viele Ukrainerinnen und Ukrainer da waren, wurde auch fleißig mitgesungen. Insgesamt habe ich gemerkt, dass allen Beteiligten das Projekt sehr am Herzen liegt und dass sie froh sind über jeden einzelnen, der kommt und sich dazustellt. Wenn ihr also mal Zeit habt samstags, oder vielleicht auch zufällig bei einer der nächsten Kundgebungen vorbeilauft, stellt euch gerne mal dazu.

Interview mit Nicolas Schmidt, Q4, Edith-Stein-Schule (er hat die Fragen für euch schriftlich beantwortet):

Erzähl uns doch erst mal allgemein etwas über die Kundgebungen auf dem Friedensplatz.

Wir haben heute (Samstag den 04.06.2022) den hundertsten Tag des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Es sind seit Beginn 100 Nächte vergangen, schon bereits vor der Invasion hat dieser Konflikt 13.000 Leben gekostet, ich kann gar nicht mehr sagen, wie viele Tote es seit Angriffsbeginn gegeben hat, auf beiden Seiten, aber es sind viele tausend. Warum dieser Krieg also zu verurteilen ist, muss ich glaube ich nicht erklären. 

Wir hatten heute die 15. Veranstaltung seit Kriegsbeginn. Wir hören verschiedene Redner, teils Experten, Politiker und drücken unseren Beistand zur Ukraine aus, egal ob musikalisch, in Reden oder mit einer Schweigeminute. Es geht darum, diesen Krieg nicht zu vergessen, weil, und das ist medienwissenschaftlich kein Geheimnis, die öffentliche Aufmerksamkeit nicht länger als ein paar Wochen hält. 

Ich möchte das kurz an einem Beispiel illustrieren. Zu Beginn des Krieges waren wir auf dem Friedensplatz weit über tausend Menschen. Heute sind wir vielleicht noch zweihundert. Von diesen zweihundert sind allerdings mehr als die Hälfte geflüchtete aus der Ukraine. Das heißt wir sind vielleicht noch knapp 100 BürgerInnen der Stadt Darmstadt. Und wir freuen uns über jeden der kommt und es ist so toll, die Menschen bei uns zu haben, die uns die Wahrheit erzählen können. Und es ist ganz wichtig diesen Menschen diese Stimme zu geben. Aber es ist gleichzeitig extrem traurig zu sehen, wie schnell die Aufmerksamkeit und das Interesse der deutschen Öffentlichkeit abebbt. Und das ist kein Vorwurf an irgendwen, es ist eine nüchterne und ernüchternde Erkenntnis. Trotzdem kämpfe ich dagegen an, denn wir sind am Ende eine sterbende Initiative, wir leben von Engagement und das geht Woche um Woche zurück und wird irgendwann sterben. Der Krieg hingegen schreitet Woche um Woche voran, fordert Tote und Verletzte, zerstört Millionen von Leben. Das spielt tatsächlich bei unserer Organisation aktuell die größte Rolle, bereitet uns die meisten Sorgen, wie wir Menschen, insbesondere junge Menschen, dazu bringen, sich zu engagieren. 

Welche Rolle spielst du bei der ganzen Sache? 

Um es ganz direkt zu formulieren: Weder habe ich eine Bedeutung, noch bin ich wichtig. Weder glaube ich, dass es bei einer Aktion, bei der es um eine Sache geht, Personen von Bedeutung geben darf, noch würde ich, wenn man die Personen mit Bedeutung auf dieser Veranstaltung aufzählen würde, auch nur vorkommen. Ich habe nur als jemand Bedeutung, der auf der Veranstaltung steht damit eine Person mehr dasteht und der Debatte damit mehr Bedeutung verleiht, weil ich ein wahlberechtigter Bürger wie jeder andere auch bin und meine Stimme eine Bedeutung für die Politik hat. Ich gestalte die Veranstaltung allerdings seit der vierten Woche mit. 

Die Hintergrundgeschichte dazu ist eigentlich eine ganz lustige. Ich bin Abiturient (18 Jahre alt, Edith-Stein-Schule in Darmstadt). Ich bin seit Beginn auf die Kundgebungen gegangen und habe mich in der dritten Woche mit zwei Freundinnen aus meiner Schule bei der Moderation der Kundgebung gemeldet, weil die Werbung für die Kundgebungen leider nicht gut funktioniert hat. Moderiert hat an diesem Tag Roland Desch von der CDU Darmstadt, er meinte, man habe im ECHO eine Notiz gehabt. Aber z.B. über Social Media oder die Website der Stadt wurde die Veranstaltung nicht angekündigt (Was irgendwie manch ein Klischee über CDU und Digitales bestärkt). Mein Vorschlag war dann, in den Bahnen Werbung zu schalten. Ich bin daraufhin mit Roland ins Gespräch gekommen und habe ihm meine Sorgen bezüglich meiner politischen Erfahrung und dem Verlauf des Krieges genannt, dass am Anfang eine riesige Entrüstungswelle losbricht und dann später alles abebbt und Putin gewähren darf. Ich bin sehr unglücklich zu sehen, dass es aktuell so aussieht, als ob das durchaus zutreffen könnte, das Interesse ist bereits weg bei vielen. Aber wollen wir mal nicht vom Schlimmsten ausgehen. Auf jeden Fall hat mich Roland dann gefragt, ob ich nicht selbst einen Beitrag für die Kundgebung gestalten wolle, zu diesem Zeitpunkt war die ganze Aktion noch relativ geschlossen, das bedeutet, dass hauptsächlich Politiker zu Bürgern gesprochen haben und eigentlich kein „Nicht-Profi“ mitgestalten durfte. Nach einer kurzen Überlegzeit haben wir uns dann dazu entschieden, dass ich eine Rede aus der Perspektive eines Abiturienten halten soll und meine Sicht schildern soll und so wurde ich zum ersten Nicht-Profi, der auf dieser Veranstaltung gesprochen hat. In den darauffolgenden Wochen habe ich dann gemeinsam mit Andreas Schlossarek, der schon viel Erfahrung mit Demonstrationsmusik hat, die musikalische Gestaltung der Kundgebung gemacht. Wir haben Klassiker wie „Imagine“ (John Lennon) gespielt, aber auch modernere Friedenslieder wie „I see fire“ von Ed Sheeran. Ich habe daraufhin noch einmal eine Rede gehalten und jetzt, einige Wochen später, eine dritte. Auch musikalisch bin ich weiter aktiv geblieben. 

Ich halte meine persönliche Geschichte hier nicht für sonderlich relevant, ich will dir (euch?) aber mit dieser Geschichte zeigen, dass Politiker nicht so unnahbar sind, wie man immer denkt. Das ist in der Tat nicht meine erste politische Debatte, in der ich mich beteilige, ein bisschen Erfahrung habe ich, aber ich habe in dieser Debatte wie in keiner anderen gelernt, dass man einfach nach vorne kommen kann und „die da oben“ ansprechen kann, sei es ein Jochen Partsch (Oberbürgermeister) oder sonst jemand aus der Politik. Als „Kind“ fühlt sich das immer so weit weg an, aber diese Menschen sind gewählt von dir, um deine Meinung zu vertreten. Und das sind einfach Menschen, die man ansprechen und mit denen man reden kann und das hat mir diese Geschichte einfach gezeigt.

Was würdest du dir für die Zukunft wünschen, im Zusammenhang mit den Demos und der aktuellen Situation? 

Was ich mir wünsche? Dass wir nicht sterben. Dass wir zu einer Friedensbewegung werden, die die Welt wirklich besser macht. Dass wir den Krieg beenden und am besten alle anderen auch noch. 

Nein ernsthaft, erst mal wäre es schön, wieder mehr Menschen für Frieden, Freiheit und die europäische Idee zu begeistern, vor allem junge Menschen. Ich bin dankbar über jeden, der sich zu uns auf die Kundgebungen dazu stellt. Und vielleicht bewegt sich ja wirklich was. In jedem Fall ist jeder Demokrat, der sich für die europäischen Werte auf die Straße stellt, egal ob bei uns in Darmstadt oder in anderen Städten. Jeder Mensch hilft. Und wenn wegen mir eine/r mehr dasteht, dann wäre das schon ein unheimlich großes Geschenk.

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