Tolles im Theater – Jekyll und Hyde

EULE

von Lidia Keremidtchiev (Q1)

Hallo meine lieben Theater- und Kulturinteressierten! Heute nehme ich Euch mit auf eine Reise ins nächtliche London des 19. Jahrhunderts; also zieht euch warm an und macht euch bereit, in die Abgründe des Menschlichen zu blicken…

Das Musical „Jekyll und Hyde“ von Steve Cuden und Frank Wildhorn basiert auf der Novelle „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ von Robert Louis Stevenson. Der junge Arzt Dr. Henry Jekyll forscht an der Trennung der menschlichen Seele in Gut und Böse, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Er entwickelt ein Elixier, das seine Idee verwirklichen soll und stellt es einem Komitee aus hochrangigen Mitgliedern vor, um um die Erlaubnis zu bitten, es an jemandem zu testen. Als das Komitee dagegen stimmt, macht sich Jekyll auf die Suche nach einem Freiwilligen und trifft dabei in einem Bordell, in das er mehr oder weniger unfreiwillig gerät, Lucy — an dieser Stelle muss man erwähnen, dass Jekyll kurz vor seiner Hochzeit mit seiner Verlobten Lisa steht. Anders als die anderen, erkennt er Lucys Charakter und ihr Talent als Tänzerin und bietet ihr seine Hilfe an, falls sie je in Not geraten sollte. Da er jedoch noch immer niemanden für sein Experiment gefunden hat, beschließt er, besessen von seiner Arbeit, in der folgenden Nacht, das Elixier an sich selbst zu testen. Durch eine furchterregende Transformation wird Dr. Jekyll zu seinem durch und durch bösen Ich, zu Mr. Hyde – seinem „monströsen Alter Ego“, wie es aus irgendeinem Grund in allen Inhaltsangaben heißt. Mr. Hyde streift als düsterer Schatten durch die Nacht und ermordet nacheinander alle Mitglieder des Komitees und stattet auch Lucy einen Besuch ab, deren berufliche Dienste er rücksichtslos in Anspruch nimmt. Am nächsten Tag – Jekyll ist wieder er selbst – erscheint Lucy und berichtet von einem mysteriösen neuen Kunden, der sie tyrannisiert. Jekyll, der sich nicht an die Geschehnisse der letzten Nacht erinnern kann, zählt eins und eins zusammen und erkennt in dem Monster Hyde sich selbst. Jekyll gerät durch die Ermittlungen gegen Mr. Hyde zunehmend unter Druck und zieht sich völlig in sein Arbeitszimmer zurück, unermüdlich an einer Lösung des Problems forschend. Hinzu kommt, dass die Transformationen nun häufiger und unkontrolliert kommen; ohne Hyde gibt es keinen Jekyll und ohne Jekyll keinen Hyde. Sein Umfeld, seine Frau Lisa, ihr Vater und sein Freund John Utterson schöpfen zunehmend Verdacht und Utterson wird schließlich Zeuge einer Rückverwandlung. Jekylls Lage wird immer aussichtsloser und zusammen mit einem Umschlag mit Geld fordert er Lucy auf, London zu verlassen, um sie zu schützen. Doch zu spät –

Bei seiner Hochzeit wenig später verwandelt sich Dr. Jekyll plötzlich vor allen Gästen in Mr. Hyde und stürzt sich auf seine Frau. Einmal, und vielleicht das einzige Mal, schafft er es, seine gute Seite durchzubringen und stürzt sich in Uttersons Pistole.

Bevor ich hier aber irgendetwas über die Inszenierung schreibe, muss ich noch einmal kurz meine Begeisterung über diese Geschichte loswerden. Das Thema ist irgendwie simpel, denn in den meisten Geschichten, vor allem in den „standardmäßigen“, in den Kinder- und Jugendromanen, wo es um Fantasiegestalten geht und darum, die Welt zu retten, geht es ja häufig um den Konflikt zwischen Gut und Böse. Aber hier sind die beiden Seiten irgendwie gleichwertig, und es geht nicht direkt darum, dass das Gute das Böse auslöschen muss. Denn wenn es das Böse nicht gäbe, könnten wir ja gar nicht einschätzen, ob das, was wir tun gut ist, dann gäbe es ja gar keine Vergleichsmöglichkeit. Umgekehrt ist es natürlich genauso. Versteht ihr, die Geschichte ist in gewisser Weise „schwarz und weiß“, aber irgendwie auch nicht… Jekyll hat ein bisschen was von Hyde, und Hyde hat ein bisschen was von Jekyll. Das kommt, finde ich, auch auf der Bühne sehr gut durch. Ich denke in der Geschichte wird mehr oder weniger die Realität – natürlich sehr überspitzt und fantastisch – erzählt. Mal ehrlich, jeder hat doch irgendwo so einen kleinen Dämon tief unten… Die Geschichte hat noch so viel mehr Facetten, zum Beispiel was Lucy betrifft, aber das würde jetzt leider zu weit führen. Im Originalbuch findet sich bestimmt noch mehr 😉

Nun aber mal etwas über Bühne und Darsteller, über die ich nicht weniger begeistert reden kann, als über das Vorherige. Auch dieses Mal ist wieder Alexander Klaws in der Hauptrolle zu sehen. Er war schon einmal in Darmstadt zu Gast, aber das könnt ihr in der Herbsteule aus 2022 nachlesen… Außerdem gab es noch eine Besonderheit: Seine Frau Nadja Scheiwiller steht bei uns als Lucy auf der Bühne! Auch sie war vor einigen Jahren schon mal in Darmstadt. Die beiden haben das wirklich unglaublich toll gemacht! Nadja hat zusammen mit einem Team aus Tänzerinnen und Tänzern eine große Showeinlage mit einer komplizierten Choreographie und akrobatischen Elementen gezeigt. Außer, dass ich ziemlich von der Energie und der guten Koordination der Darsteller untereinander überwältigt wurde, haben mich auch die Kostüme sehr überzeugt. Jeder sieht ganz anders aus, als sein Nebenmann oder seine Nebenfrau, aber alle sind in Glitzer und Pailletten, vor allem aber in eher wenig Stoff gekleidet – eben der Situation von Lucys Arbeitsplatz entsprechend. Insgesamt denke ich, dass man hier im ganzen Stück von „historischen Kostümen“ sprechen kann, die alle mit sehr viel Liebe und einem guten Auge fürs Detail angefertigt wurden – eben eine ganz klassische Inszenierung. Das spiegelt sich auch im Bühnenbild wieder, doch dazu später mehr.

Auch Alexander Klaws hat in dieser anspruchsvollen Rolle überzeugt. Besonders beeindruckt hat mich, wie er die Verwandlungen vom einen in den anderen Charakter darstellt. Er hat nämlich überhaupt keine Hilfsmittel zur Verfügung und muss alles mit seinem eigenen Körper machen. Man bekommt den Eindruck, als sei die Verwandlung wirklich schmerzhaft, aber nicht nur auf physischer, sondern auch auf psychischer Ebene, als würde die unkontrollierte Verwandlung Panik in ihm auslösen (zumindest von Jekyll zu Hyde). Klaws schafft es, dass er von einer Minute auf die andere wie ein völlig anderer Mensch aussieht, und das nur durch seine Körperhaltung und ein paar winzige Änderungen am Kostüm, die er alle geschickt während der Verwandlung vornehmen muss.

Insgesamt kann ich sagen, dass deren beider größte Stärke im tanzen bzw. verwandeln besteht – beide sind einfach unglaublich fit und wissen genau, wie sie sich in welcher Situation bewegen müssen. Außerdem ermöglicht die gute berufliche sowie private Beziehung von Alexander Klaws und Nadja Scheiwiller, dass Regisseur Gil Mehmert mehr Freiheit bei der Umsetzung bestimmter Szenen hatte.

Aber auch wenn die beiden, die hier ja eher zu den jüngeren Darstellern gehören, in allen Aufgaben eines Musical-Darstellers (also singen, tanzen, Schauspiel) Vollprofis sind, merkt man einigen anderen aus dem Ensemble schon in den ersten Minuten einfach total die Erfahrung an. Da wäre zum Beispiel Livio Cecini, der in der Rolle von Jekylls Freund Utterson zu sehen ist. Schon die ersten Sätze seines Textes klingen einfach super ausdrucksstark und überhaupt hat er eine viel größere Bühnenpräsenz als zum Beispiel Alexander Klaws, der während jener ersten Sätze gleich neben ihm steht.

Kommen wir nun zu meinem eigentlichen persönlichen Lieblingsteil, dem Bühnenbild. Wie gesagt ist das meiste an dieser Inszenierung eher klassisch gehalten, das heißt zum Beispiel, dass die Kostüme und das Bühnenbild der Zeit angemessen sind, in der das Stück spielt, oder auch, dass für verschiedene Szenen die Illusion von verschiedenen Orten erzeugt wird. Ich finde, dass die Bühne bei Jekyll und Hyde, die Übrigens samt der Inszenierung aus Dortmund „importiert“ wurde, wirklich ein Meisterwerk ist. Im Grunde genommen handelt es sich um eine große Konstruktion in der Mitte der Bühne, die in alle Richtungen gedreht und auch gesenkt werden kann. Wird die Bühne gedreht, sieht man, je nachdem in welchem Winkel sie steht, eine andere „Öffnung“ des Bühnenbildes. So kann man schnell zwischen einem Arbeitszimmer, einem märchenhaften Garten und einem düsteren Hinterhof wechseln. Hat man sich erstmal einen Überblick über all die liebevollen Details gemacht, fährt die ganze Bühne auf einmal hoch und wie aus dem Nichts wird wie eine andere Welt ein riesiges Labor aus dem Boden gehoben. Was man da noch alles entdecken kann, dafür würden alle Seiten dieser Ausgabe nicht reichen – man muss es einfach gesehen haben.

Da die Inszenierung sehr düster ist und auch die eine oder andere Szene mit Gewalt in verschiedenen Formen vorkommt, wollte ich eigentlich eine Art Altersempfehlung aussprechen – allerdings sind alle Vorstellungen bis April (!) ausverkauft. Das ist wirklich selten und zeigt, dass Darmstadt guten Geschmack hat 😉 Falls ihr trotzdem ins Theater gehen wollt, könnt ihr Euch aber zum Beispiel das diesjährige Weihnachtsmärchen „Der Zauberer von Oz“ anschauen. Ich habe es zwar noch nicht gesehen, aber ich könnte mir vorstellen, dass es schön wird! Ansonsten wünsche ich Euch schöne Ferien und freue mich, nach den Ferien wieder in neue Abenteuer aufzubrechen…

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