Eine Rede aus dem Deutschunterricht von Carlotta (Q2)
„Kunst darf und muss anstößig sein. Aber ebenso klar ist, dass Debatten, Beiträge und die Botschaften auch Grenzen haben können.“, so Frank Walter Steinmeier, nachdem erneut eine deutsche Kulturveranstaltung, die documenta 15 (2022), Antisemitismusvorwürfe nach sich zog. Er möchte der Kunstfreiheit somit durch politisches Eingreifen klare Grenzen setzen, was derzeit für hitzige Diskussionen sorgt, denn ursprünglich soll das Prinzip der Kunstfreiheit jegliche künstlerische Aktivität vor Zensur und Bedrohung sowie allgemein staatlichem Einfluss schützen. Wird die Politik also automatischen in einen Zusammenhang mit Kunst und Kultur gebracht, so stellt sich die Frage, wie dünn der Staat die Grenze zwischen Meinung und Propaganda legt.
Heutzutage fühlen sich viele Künstler oftmals ungerecht behandelt, da sie eine klare Einschränkung ihrer Freiheit und Menschenwürde sehen, wenn ihre eigentlich kreative Arbeit von festen Strukturen folgenden Expertengremien geprüft werden soll. Insbesondere wenn ihnen hierbei beispielsweise rassistische oder sexistische Ansichten vorgeworfen werden, welche teilweise nur auf Spekulationen oder Interpretationen basieren könnten. So erging es beispielsweise dem Lyriker Eugen Gomringer, dessen Gedicht „Avenidas“ (1951) vor einigen Jahren von vielen Kritikern als frauenfeindlich und unangemessen eingestuft wurde. Gomringer beharrte jedoch darauf, dass es ihm lediglich um die Ästhetik der bildlichen Konstellation durch das spanische y gegangen sei und wies somit die Vorwürfe als missinterpretiert zurück.
Doch ist es wirklich in Ordnung, die Verantwortung von Künstlern derart kleinzumachen und somit ihren Einfluss, welchen sie auf die Allgemeinheit haben können, herunterzuspielen? Kunst und Kultur sind feste Bestandteile unserer Gesellschaft und können sie daher beeinflussen oder sogar manipulieren. Während dies im Bezug auf „friedlichere“ Themen, wie beispielsweise den Klimawandel, hilfreich sein kann, wird es bei ideologischen und feindlichen Ansichten kritisch. Dies zeigte ein Eklat bei der Kulturveranstaltung documenta 15, bei welcher 2022 ein antisemitisches Banner aufgehängt wurde, da man zuvor das Risiko eingegangen war, die Politik und somit potenzielle Zensuren von der Ausstellung in Kassel auszuschließen. Somit deckte die Kunstfreiheit hierbei zunächst antisemitisches Denken, bis die Deabtte an die Öffentlichkeit und somit die Politik gelangte und man forderte, dass der Bund in Zukunft mehr Einfluss auf die Veranstaltungen haben sollte.
Dennoch fürchten Gegner der Zensur, wie beispielsweise das indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa, dass ihnen so eine Richtung vorgegeben sowie jegliche Freiheit genommen würde. Die Künstlergruppe wurde bereits vor der documenta als „antisemitisch“ bezeichnet, da sie auch palästinensische Künstler beziehungsweise Unterstützer eingeladen hatten. Dem Expertengremium, welches einberufen wurde, um eine angemessene Kontextualisierung bestimmter Werke vorzunehmen, warfen sie zudem Rassismus und Zensur vor. So sollte Kunst doch eigentlich der Selbstverwirklichung dienen sowie es dem Künstler ermöglichen, ihre Werte oder Botschaften zu vermitteln. Man könne nicht von Diversität und Kunstfreiheit sprechen, wenn man nur bestimmte Meinungen zulasse. Kommt es also zu einem Konflikt mit der Meinungsfreiheit, stelle sich die Frage, wer eigentlich darüber entscheiden darf, was als akzeptabel beziehungsweise feindlich gelte. Kann eine einzelne Expertengruppe wirklich neutral urteilen, wenn sie doch auch eine eigene Weltansicht vertritt? In vielen Fällen ist Zensur daher kontextabhängig und basiert innerhalb verschiedener Gesellschaften auf unterschiedlichen Faktoren, wie zum Beispiel Religion oder Kultur. Mit der deutschen Geschichte im Hinterkopf ist Kulturpolitik jedoch gewissermaßen verpflichtend für unsere Regierung, denn oftmals wird Kunst, wie die Vergangenheit zeigt, von den falschen Kräften missbraucht. Somit sollte es bei Zensur vielmehr darum gehen, wer eigentlich von der Allgemeinheit „erhört“ wird anstatt beinahe stumpf und kategorisch Inhalte zu beurteilen. So kann beispielsweise der Einfluss bekannter Persönlichkeiten oder Personen mit Medienzugang eher zu Gruppenzwang verleiten, als beispielsweise der eines von der Öffentlichkeit „abgespaltenen“ Außenseiters. Dies zeigte eine Reihe von Skandalen bei der diesjährigen Berlinale, als mehrere Filmemacher auf der Bühne antiisraelische Aussagen trafen und dafür ausschließlich Beifall vom Publikum ernteten.
Wichtig ist jedoch auch anzuführen, dass Kunst als freie, kreative Erschaffung definiert wird und somit als recht gegensätzlich zu der geregelten, strengen Politik gesehen werden kann. Betrachtet man alleinig den Ursprung des Künstlerischen, so ist es zunächst nicht direkt auf politische Korrektheit angewiesen. Natürlich stehen beide Parteien heute dennoch in unmittelbarem Zusammenhang, da Kunst und Kultur oftmals gesellschaftliche Strukturen und Debatten veranschaulichen sowie spiegeln können. Jedoch wurde jene Beziehung zur Zeit des Nationalsozialismus deutlich missbraucht, da Kunst von der damaligen Regierung politisch instrumentalisiert und genutzt wurde, um Anhänger zu gewinnen. Dies zeigte beispielsweise die Propaganda-Ausstellung „Entartete Kunst“ (Juli 1937), welche Künstler und Künstlerinnen an den Pranger stellte und sie so systematisch verfolgte. Das Ausmaß sowie die Verantwortung der Kunst veränderten sich damals drastisch, da die Kunst zu einem taktischen Werkzeug wurde. Ebenso darf nicht vergessen werden, dass sich viele Künstler unter dem NS-Regime anpassten und teilweise sogar der Regierung anschlossen. In diesem Fall konnte man daher nicht von Selbstverwirklichung, dem eigentlichen Zweck der Kunst, sprechen.
Abschließend kann gesagt werden, dass Kunst und Meinungsfreiheit zwar zu den wichtigsten Aspekten unserer Gesellschaft gehören, jedoch bringen sie auch immense Risiken mit sich. Um jene zu verhindern, wird daher die Politik als eine Art Behörde eingesetzt. Zwar darf sie unter keinen Umständen dem Künstlerischen eine Richtung aufzwängen, aber dafür Grenzen setzen, sobald klare Verstöße, beispielsweise gegen die Menschenwürde, auffallen. Letztendlich lässt sich nicht bestreiten, dass Kunst und Kultur einen direkten Einfluss auf unsere Gesellschaft haben, weshalb man sich ihrer immensen Verantwortung bewusst sein sowie akzeptieren muss, dass sie nicht vollkommen frei von Politik sein können.